Hunter und Peggy 4 – Getrennte Wege

Als Peggy sagte, sie braucht mal etwas Abstand, hatte sie nicht übertrieben. Das Nächste, was er von ihr hörte war, dass sie in Neuseeland sei. Viel mehr Abstand geht wahrlich nicht. Wahrscheinlich war sie sauer auf ihn. Die Sache mit dem Polizeiauto schien sie ihm wirklich übel genommen zu haben. Dabei war es eigentlich keine große Geschichte, eigentlich mehr so eine Sache, die wirklich nur Hunter passieren konnte.

Vor einigen Wochen – das war direkt nach der großen Abschiedsparty von ihrem guten Freund, an dessen Namen sie sich partout nicht erinnern konnten – waren plötzlich zwei Fahrräder in ihrem Hinterhof aufgetaucht. Sie hatten keine Erklärung dafür woher die kamen, vor allem da die Party woanders stattgefunden hatte, aber nachdem sie sich für mindestens zwei Wochen nicht vom Fleck rührten, beschloss Peggy, dass ihnen die Fahrräder wohl zugelaufen seien. So was hört man ja gelegentlich.

Jedenfalls begannen sie, ganz im Sinne des Erfinders, die Fahrräder zu benutzen. Wenn auch unmotorisiert verkürzte das Fortbewegungsmittel den Weg in ihre lokale Schenke doch erheblich, ganz zu schweigen von der Bequemlichkeit, wenn sie mal wieder in keiner Verfassung zum Laufen waren. Hunter war schon immer der Ansicht gewesen, dass es wesentlich besser sei, schlecht zu fahren als gut zu laufen. Mit dieser These stand er, wie er aus sicherer Quelle wusste, nicht allein.

In mancher Hinsicht war es natürlich unbefriedigend. Wer fährt schon Fahrrad? Die Teile sind reserviert für Kinder, Looser und Idioten, die zu unterbelichtet sind, einen Führerschein zu machen. Hunter und Peggy zählten sich zu keiner dieser Kategorien, doch in Anbetracht ihrer finanziellen Umstände, Peggy weigerte sich nach wie vor, sich einen Job zu suchen und Hunter galt per se als unvermittelbar, mussten sie Kompromisse machen. Vor die Wahl gestellt, ihre leicht abzählbarer Menge Bares in Sprit oder Sprit zu investieren, radelte es sich plötzlich ganz einfach. Hunter hatte noch nie gern anderen beim schlucken zu gesehen und ganz besonders nicht, wenn er die Zeche dafür zahlte. Ein Auto stand also außer Frage.

Dabei hatte er schon als junge Ferse bei Demos von Grünen und Globalisierungsgegnern Transparente mit Sprüchen wie “Lieber Mercedes als per pedes” geschwenkt. Er hatte nie wirklich herausgefunden, was per pedes bedeutete aber die Blümchenfresser waren immer ziemlich sauer auf ihn gewesen. Als wenn ihn so etwas anfechten würde.

Seiner persönlichen Ansicht nach sollte die Friedensbewegung sowieso verboten werden. Wenn die den Planeten retten wollten, müssten sie konsequenter Weise Europa, Ostasien und Nordamerika in die Luft sprengen. Nicht dass er Nordamerika irgendwie vermissen würde, eher im Gegenteil, trotzdem erschien ihm die Sache etwas radikal. So wie er die Müslifresser einschätzte, würden die wahrscheinlich daneben schießen und aus Versehen Mexiko oder noch schlimmer Kuba ausradieren. Nie wieder Tequila? Nie wieder Havanna Club? Da gewöhnen wir uns doch lieber ans Ozonloch.

Was soll schon passieren? Mit etwas Glück würde er seinen Gin-Tonic längst mit Petrus oder dem Gehörnten schlürfen, wenn die Polkappen abtauen. Und wenn nicht, hätte er immerhin ein Haus in bester Lage direkt am Strand. Das hat ja auch seine Vorteile, da könnten Peggy und er in die Wirtschaft paddeln. Da müssten sie endlich nicht mehr wie Versager durch die Gegend strampeln. Er kam sich vor wie ein beschissener Ökofuzzie. Was sollten seine Saufkumpane von ihm denken?

Wenigstens eigneten sich die Fahrräder prima, um Autofahrer in den Wahnsinn zu treiben. Wie es sich für ein echtes Arschloch gehörte, fuhr Hunter natürlich im Schritttempo in der Mitte der Spur und mit besonderer Vorliebe dann, wenn sich ein Bus näherte.

Er hatte eine persönliche Aversion gegen Busfahrer, er konnte diese öffentlichen Nahbeförderer auf den Tod nicht ausstehen. Wenn er sah, wie einer dieser Mützchenträger nach ungefähr fünf Minuten im Schneckengang hinter Hunter herfahrend die Contenance verlor, war sein Tag gerettet.

Allerdings musste er neidlos anerkennen, das Repertoire von Schimpfwörtern und Flüchen, das der Ottonormalbusfahrer so drauf hatte, war nicht von schlechten Eltern war. Wahrscheinlich bekamen sie das von ihren Fahrlehrern mit auf den Weg, bevor man sie auf die Straße entließ. Wahrscheinlich sollte es helfen, Frust abzubauen. Bei den Wutausbrüchen wünschte sich Hunter mehr als nur einmal, er hätte ein Notizbuch und eine Hand frei, um es mitzumeißeln. Ja, Fahrrad fahren kann auch Spaß machen, man muss nur wissen wie.

Nun ja, vor einigen Wochen auf dem Rückweg von seiner Stammkneipe, Peggy und er hatten selbst für ihre Verhältnisse schwer geladen, passierte ihnen ein kleines Missgeschick. Eigentlich passierte das Missgeschick nur Hunter aber Peggy fiel bei der Gelegenheit vom Rad und tat sich ein ganz kleines bisschen weh. Vor allem deshalb war sie sauer und weil er sie ziemlich blöd angemacht hatte hinterher, doch fangen wir von vorn an. Was war passiert?

Peggy und er waren also auf einer kleinen Sauftour gewesen, an sich nichts Ungewöhnliches. Wie üblich, hatten sie Fahrräder genommen und ein paar Ballons steigen lassen, so nannten sie es, wenn sie sich wieder einmal tüchtig abschossen. Alles lief super, nach einem eleganten Abgang vom Barhocker waren sie der Kneipe verwiesen worden, mehr ein lieb gewonnenes Ritual, als alles andere, da sie in ihrem Zustand sowieso nirgendwo mehr reingelassen worden wären, machten sie sich auf den Heimweg, nicht ohne vorher eine Flasche Wodka zu klauen natürlich.

Hunter radelte im allerfeinsten Delirium und ohne sich dessen ernsthaft bewusst zu sein, die Straße entlang. Es war mitten in der Nacht, er fuhr also brav an der Seite, immerhin waren die Straßen leer, es gab also keinen Grund, die Spur zu blockieren. In gewisser Weise erinnerte sich Hunter sogar, dass ihn dieses komische Auto überholte, aber es war wirklich mehr unterbewusst. Offensichtlich – und das ist eine nachträgliche Rekonstruktion der Ereignisse – hielt das Auto direkt vor ihm, was Hunter natürlich völlig entging. Dann kam eins zum anderen. Der Beifahrer öffnete die Tür und wollte gerade aussteigen, als Hunter mit und zu diesem Zeitpunkt auch noch auf seinem Radel ihm von innen in die Tür krachte.

Hunter fiel wie von einer Axt gefällt, zusammen mit seinem Fortbewegungsmittel lag er auf dem Gehweg und dachte angestrengt darüber nach, was wohl geschehen sein könnte. Er blickte auf das Automobil und es schwante ihm, und zwar Böses. Offensichtlich war er nicht irgendeinem Idioten in die Tür gefahren, sondern gleich den größten. Jedenfalls hatte das Auto Rundumleuchten auf dem Dach und an der Seite prangte in fetten Lettern “Bullen”. So ähnlich jedenfalls. Das hatte im gerade noch gefehlt. Dabei hatte er sein diesjähriges Budget für Beamtenbeleidigung schon mehr als ausgeschöpft.

Als guter Staatsbürger unterstützte Hunter natürlich die Ordnungskräfte. Da er keine bessere Idee hatte, jedenfalls keine die Spaß machte und nicht mit Arbeit verbunden war, adressierte er in regelmäßigen Abständen einen oder mehrer Beamte als dumme Arschlöcher. Die erhoben dann die übliche Bürgerpauschale, Hunter zahlte schmunzelnd den Betrag, dafür konnte er sich dann ruhigen Gewissens zurücklehnen und in dem guten Gefühl sonnen, ein guter und nützlicher Staatsbürger zu sein.

Nun hatte er seinen Obolus gerade erst entrichtet und so weit wollte er in der Unterstützung der Wegelagerer eigentlich nicht gehen. Hunter beschloss also, erst einmal abzuwarten und sich blöd zu stellen. Das konnte er wirklich gut, wie ihm auch schon höchstrichterlich bestätigt wurde. Er konnte sich nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnern, allerdings war es irgendetwas in der Richtung, dass Hunter ein perfektes Beispiel dafür sei, wie sehr das Bildungssystem unter den Sozis krachen gegangen wäre.

Hunter lag also auf dem Gehweg und sah den Nachtwächter oder wie man die Typen in Uniform nennt erwartungsvoll an. Zu seiner Überraschung schien der sich prächtig zu amüsieren, er hatte jedenfalls ein fettes Grinsen im Gesicht. In gewisser Weise konnte Hunter dies sogar nachvollziehen. Er hätte sich wahrscheinlich bepisst vor Lachen, wenn er einen Radfahrer mit der Autotür erwischt hätte. Bei Buddha, versucht hatte er es oft genug.

Der Nachtwächter räusperte sich. Hunter blickte ihn an mit dem staunenden und erwartungsvollen Blick eines Sechsjährigen im Angesicht des Weihnachtsmanns an. “Nun Bürger,” das war offensichtlich adressiert an Hunter. Er konzentrierte sich, um auf keinen Fall etwas Blödes zu sagen und schon gar nicht etwas, was er hinterher bereuen könnte. “Schöner Abend Herr Wachtmeister!” Wohlgefällig nickte dieser. “Und, haben wir denn was getrunken?” Hunter wollte gerade zu einer Antwort ansetzen im Sinne von, er könne nur für sich sprechen, antwortete dann aber doch nur mit einem knappen “Nun ja, das ließe sich wohl kaum leugnen.”

Dem Bullen schien die Antwort zu gefallen. Wahrscheinlich standen sie von Berufs wegen auf reuige Sünder und so wie er im Moment aussah nahm man Hunter das reuig auf jeden Fall ab. “Ihnen ist schon bewusst, dass es eine schwere Ordnungswidrigkeit darstellt, angetrunken ein Fahrzeug zu führen und sei es auch nur ein Fahrrad.” Hunter schwieg. Ihm fiel einfach nichts ein, was er dazu sagen könnte, ohne den Uniformkasper nachhaltig zu verärgern. “Was machen wir nun mit ihnen Bürger?”, frug letzterer unseren gestürzten Helden. “Tja …”

Der Sheriff schaute auf seinen Kollegen, doch der saß immer noch im Auto, biss ins Lenkrad und versuchte nicht lauthals loszulachen. Viel Hilfe hatte er von dem nicht zu erwarten. “Ist ihnen aufgefallen, dass ihr Fahrrad kein Rücklicht hat?” Nun war es an Hunter etwas verwirrt drein zu blicken. “Ich fürchte, dass ist meinem ansonsten recht wachsamen Auge völlig entgangen. Ein unverzeihlicher Fehler Herr Wachtmeister!” Die Antwort gefiel, an Improvisationstalent hatte es Hunter noch nie gefehlt. Er war in mancher Hinsicht ein begnadeter Schauspieler.

“Ich fürchte, ich werde sie mit einer Ordnungsstrafe belegen müssen. Das macht 20 Euro!” Hunter griff wortlos zur Brieftasche. Ein Blick hinein bestätigte seine Befürchtung, dass er ziemlich abgebrannt war. Sein Blick schien Bände zu sprechen. Der Wachtmeister fragte ihn: “Wie viel haben sie denn?” Hunter leerte seine Börse. “Fünf bekomme ich zusammen.” Des Sheriffs Fahrer schien es kaum noch auf dem Sitz zu halten. “Na gut Bürger, da wollen wir mal Gnade vor Recht ergehen lassen. Fünf Euro also.” Hunter reichte ihm wortlos das Geld.

“Und den Rest des Weges schieben sie Bürger. Ist das klar?” Hunter nickte. Der Bulle stieg ohne weitere Ermahnungen ins Auto und entschwand in die Nacht. Hunter wartete noch einen Augenblick, schob das Fahrrad um die Ecke und stieg auf. In dem Moment realisierte er zwei Dinge. Ersten: Das Fahrrad war hinüber und zweitens: Vor ihm lag Peggy, lachte immer noch schallend, hatte dabei aber Tränen in den Augen. Offenbar hatte es sie nicht auf dem Fahrrad gehalten. Peggy hatte es gerade noch um die Ecke geschafft, dann war es vorbei. Bei ihrem Abgang vom Fahrrad hatte sie sich nicht nur ernsthaft weh getan, sondern auch noch die geräuberte Wodkaflasche zerdeppert.

Hunter traute seinen Augen nicht, der schöne Wodka, weg war er und er brauchte nicht lange nachdenken, wie es um ihre Hausbar stand. Die war so leer, da könnte die NASA ihre nächstes Spacelab einbauen, hochreines Vakuum.

Peggy lachte immer noch. Es war einfach zu viel. Hunter tickte völlig aus. Ich kämpfe hier um mein Leben, um unsere schiere Existenz, stürze mich todesmutig in ein Verbalduell mit irgendeinem Nachtwächter und du zerdepperst meinen Wodka? Du musst doch wohl stinken. Habe ich dir nichts beigebracht? Es ist mir Latte, ob du dir den Hals brichst, so etwas verheilt wieder, aber wenn eine Flasche erst mal bricht, ist es vorbei mit an den Munde führen.

Totenstille, Peggy war das Lachen vergangen. In ihr brodelte es. Als wenn sie etwas dafür konnte, dass Hunter ausgerechnet einen Bullen rammen muss. Selbstverständlich hielt es sie nicht auf dem Rad. Mal abgesehen davon, dass sie auch schwer geladen hatte, wie behämmert kann einer eigentlich sein? Und das der Wodka über den Jordan war, tat ihr mindestens genauso leid, wie ihm.

Wenn Peggy irgendetwas nicht leiden konnte, dann wenn sie jemand schräg von der Seite anquatschte. Außerdem fiel ihr gerade auf, dass sie sich wahrscheinlich eine Rippe geprellt hatte. Es tat jedenfalls höllisch weh. Hunter in seiner Bestform merkte wie üblich nichts. Er lamentierte vor sich hin wegen dem beschissenen Wodka, während ihr fast die Tränen kamen. Für den Rest des Abends redeten sie kein Wort mehr miteinander und auch nicht die darauf folgenden Tage. Peggy war sauer und Hunter war nun ja Hunter halt.

Seit dem Abend war irgendetwas im Busch. Peggy führte sich auf, als wenn er die Wodkaflasche zerbrochen hätte. Typisch Weib, nachtragend, zickig, ganz wie Gott sie schuf. Einige Tage später erhielt Hunter die Nachricht, dass sie etwas Abstand brauche. Er dachte sich nicht viel dabei. Seiner Theorie zufolge musste man bei Frauen nur lang genug warten. Die beruhigen sich schon wieder. Peggy schien dieses Mal allerdings sehr verärgert zu sein. Für eine Weile nicht mit ihm zu reden, dagegen ist nichts zu sagen, aber gleich nach Neuseeland zu gehen, schien ihm als Reaktion nun wirklich etwas überzogen.

Wahrscheinlich wollte sie einfach mal wieder jemandem das Herz brechen. So etwas brauchte sie gelegentlich, um ihr inneres Gleichgewicht zu erhalten. Die armen Typen waren hinterher immer total fertig und bettelten noch monatelang. Irgendwie taten ihm die Armleuchter sogar leid. Sie wirkte so harmlos auf den ersten Blick. Tief in ihrem Innern war sie mindestens so abgebrüht wie er; wahrscheinlich sogar schlimmer. Immerhin schlief er mit seinen Exfreundinnen hinterher noch. Wo er darüber nachdachte, vielleicht sollte er seine versoffene Exfreundin mal wieder anrufen. Die muss auch seit Wochen darauf warten, dass er vom Zigaretten holen wieder kommt. Er könnte sagen, dass er sich verlaufen hat. Wenn er sich bloß an ihren Namen erinnern könnte. Irgendwas mit A, da war er sich halbwegs sicher.